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Das ungemein geheime Leben der Queen Teil 2

Dies ist der zweite Teil meines Beitrags Das ungemein geheime Leben der Queen.


Im vergangenen Sommer war ich, nur so zum Vergnügen, mit einem knapp volljährigen Engländer länger im Auto unterwegs. Sein Vater ist Musiker, der Sohn lernt etwas eher Abartiges.


Wir reden über Songs, die uns besonders gut gefallen und Bedeutung in unseren Leben haben, und ich wähle, als ein Beispiel, Purple Rain von Prince.

Nach dem ersten Chorus frage ich: „Na, schon mal gehört?“

„Ja, klar“, antwortet er. „Das sind ABBA.“


Ich finde, solchen Leuten sollte man die Einreise nach Europa verbieten. Andererseits kann man sie sehr elegant auf dem Seitenstreifen einer deutschen Autobahn loswerden. Von dort aus dürfen sie sich dann schön zu Fuß nach Hause spotifyen.


Die Anekdote an sich überlasse ich Ihnen als gut gemeinte Warnung. Mir ist bekannt, dass einige meiner Hörer und Leserinnen von ähnlichem Alter sind wie der Quizversager, und ich werde mich bemühen, die heute anstehenden Informationen demgemäß zu präsentieren. Im Gegenzug verbitte ich mir fachliche Kommentare der Generation Datenübertragungsrate. Hinsetzen. Mund halten. Aufpassen.


Wie wir seit vergangener Woche wissen, geht es um die größte Sängerin des Universums: Aretha Franklin, 1942 geboren in Memphis, Tennessee, 2018 gestorben in Detroit, Michigan.


Unsere erinnerungsmäßig benachteiligten Anwesenden kennen Aretha Franklin vielleicht aus dem Film The Blues Brothers aus dem Jahr 1980, mal bei den Großeltern ins Videoregal schauen, eventuell von ihrem Auftritt bei der ersten Vereidigung Barack Obamas 2009 mit dem legendärsten Vereidigungshut ever – der ist jetzt übrigens im Museum – bestimmt aber anlässlich ihres populärsten Titels Respect. Und wenn schon nicht aus natürlichen Gründen, dann wenigstens als Werbesong einer deutschen Baumarktkette.


Sollten Sie nun heute generationsübergreifend Details und bisher Unbekanntes aus dem vieldeutig verschwommenen Privatleben der Queen of Soul erwarten, werde ich Sie enttäuschen. Die Vita Aretha Franklins besteht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus einer Aneinanderreihung von traumatischen Schicksalsschlägen, deren Schilderungen allerdings zumeist Spekulationen geschuldet sind. Es gibt Autoren, die ihr Buch über Miss Franklin allen Ernstes ein zweites Mal schreiben, weil sie urplötzlich bemerken, dass in der ersten Ausgabe vieles nicht stimmte oder fehlte. Und da das, was als relativ sicher angenommen werden kann, wahrlich desolat ist, werde ich es nicht im Rahmen eines PodBlog in appetitliche Häppchen portionieren.


Ich hatte einmal Gelegenheit zu einem ausführlichen, vertraulichen Gespräch mit Arethas Bruder Cecil Franklin, der den Löwenanteil ihrer Geschäfte in der zweiten Karrierehälfte betreute, und was sich mir da als winziger Mosaikstein offenbarte, war bereits dazu angetan, es weder kommentieren, noch in Worte fassen zu wollen. Also lassen wir das.


Aber warum beschäftigen wir uns dann mit dieser Frau?

Das wiederum ist ganz einfach: Wegen des FBI.


Die Sängerin, Komponistin, Musikerin und Produzentin Aretha Franklin wurde für geraume Zeit vom FBI überwacht.


Beim FBI handelt es sich um eine amerikanische Behörde, die dem Justizministerium unterstellt ist. Das FBI beinhaltet gleich drei Wünsche auf einmal: Den Inlandsgeheimdienst, die Kriminalpolizei und die Spionageabwehr. Seine Aufgaben sind, neben anderen Schwerpunkten, die Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz und die Verfolgung von Verbrechen, die den Staat bedrohen oder bedrohen könnten. Bitte merken Sie sich diesen Konjunktiv.

Zusammengefasst: Die Damen und Herren dürfen immer alles.

Und das tun sie auch.


Eine derartige Überwachung hat System und gewisse Schwerpunkte, zurechtgelegt von rastlos bemühten Hirnen um, unter anderem, unliebsame Bürger auszuschalten.

Und unliebsam ist man schneller als eine Scheibe Brot getoastet ist. Man braucht nur die Auswirkungen des herrschenden politischen Systems im weitesten Sinn als ungerecht zu kritisieren, sich zu organisieren oder zumindest solidarisieren.


Die betreffenden Gegenmaßnahmen der U.S.A. Mitte des letzten Jahrhunderts sind eine Hitliste des Horrors. Sie lauten: Denunziation, Gewaltandrohung, Mord, Verfolgung und Psychoterror.

Die Maßnahmen der Behörde gegen die Bürger, wohlgemerkt.


Ganze vier Jahre nach Antragstellung durch eine amerikanische Journalistin wurde nun also kürzlich die FBI-Akte Aretha Franklin offengelegt, und es drängt sich die Vermutung auf, dass man die doch recht lange Zeit dringend benötigte, um das Papier in weiten Teilen unleserlich zu machen. Was die willigen Kammerdiener der politischen Macht in ihrem Dilettantismus nicht vermocht haben: Die Untiefen eines bestialisch stinkenden Staatsrassismus zu verbergen.


Dazu muss man wissen, dass Aretha einer sehr vielsagenden Vatererde entspringt und wichtiger Teil eines außerordentlichen sozialen Geflechts ist.


Haben Sie schon einmal den typischen Gottesdienst einer schwarzen Gemeinde erlebt, sei es im Film oder persönlich? Ich meine die amerikanische Variante mit dem wogenden Chor, der treibenden Orgel und dem schweißgebadeten Prediger?

Diese Art, das Hochamt zu zelebrieren, geht auf den Baptisten Reverend C. L. Franklin zurück, Arethas Vater. Alles, was Sie auf diesem Gebiet erleben, geschieht immer noch nach seinem Vorbild. Die Predigten dieses Meisters der Rhetorik erscheinen spätestens seit den vierziger Jahren auf Schellackplatten – Schellack ist der Vorläufer von Vinyl – und es sind seine Sonntagsgottesdienste, die als erste direkt aus der Kirche im Radio übertragen werden, und glauben Sie mir, das klingt nicht wie ein Live-Stream aus dem Erzbistum Köln.

Der Reverend ist ein Star und verfügt über einen kritischen politischen Geist. Er steht in enger Verbindung zu den Bürgerrechtlern um Dr. Martin Luther King, der wiederum vom FBI als radikal eingestuft und ab 1955 sehr engmaschig überwacht wird. Sie alle kennen Dr. King anlässlich seiner Rede I Have A Dream.


Martin Luther King wird 1964 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – da gab es beim FBI bestimmt eine Mörderparty – und er ist bis heute ein täglich zitierter, unangefochtener politischer Leuchtturm mit einem nach ihm benannten nationalen Feiertag, der im Jahr 1986 eingeführt wurde.


Im April 1968 fällt Dr. King einem Attentat zum Opfer. Die damit einhergehenden „Fakten“ unterliegen bis heute erheblichen Zweifeln.


Die betreffende Trauerrede hält Reverend Franklin. Darüber hinaus soll es im Baseballstadion von Atlanta eine Gedenkveranstaltung geben. Vortragende: Sammy Davis Jr., Marlon Brando, Mahalia Jackson, die Supremes und Aretha.

Das FBI ist absolutely not amused. Man befürchtet, die Auftritte dieser Prominenten könnten emotionaler Funke für Rassenunruhen sein. Also sorgt der Geheimdienst dafür, dass das Stadion wundersamer Weise und ganz plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Das Ereignis fällt aus.

Darüber hinaus unterstellt das FBI C. L. Franklins Anhängern, nicht die, Zitat, geistigen Fähigkeiten zu haben, den angeblichen Amerikahasser und Kritiker des Vietnamkriegs als solchen zu erkennen. „Sie werden ihm blind folgen“, heißt es warnend in den Papieren.

Da spricht stumpfe Borniertheit über ein für sie nicht erfassbares, gesellschaftliches Konstrukt. Vulgo: Man ist zu dämlich, um andere selbstständig denken zu lassen.


Und da Haltung, gottlob, bisweilen erblich ist, gerät auch die Tochter Aretha, die seit frühester Jugend im Chor des Vaters singt, ins Visier, und ihre Bespitzelung nimmt besonders groteske Züge an.

Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an die Methoden der Staatsgewalt: Denunziation, Gewaltandrohung, Mord, Verfolgung und Psychoterror.


Arethas Vertrag mit Atlantic Records wird geheimdienstlich überprüft, für den Fall, er könnte staatsfeindlich sein. Wir sprechen über einen Plattenvertrag.

Aretha Franklin wird um Geld erpresst und durch einen groß angelegten Bootlegskandal zu ihrem Nachteil nervlich beinahe in die Knie gezwungen.

Ihre Telefonate werden minutiös mit Datum und Uhrzeit dokumentiert.

Sie erhält, ebenso wie der Vater, wiederholt anonyme Morddrohungen, deren Verfolgung seitens der Staatsanwaltschaft stets eingestellt wird.

Sie bekommt gefälschte Briefe und fingierte, umgeleitete Anrufe, die nachweisen sollen, dass die Aktivisten der Black Panther Party telefonisch Kontakt zu ihr aufgenommen haben. Diese Leute fallen dadurch auf, dass sie gewalttätigen Polizisten genau auf die Finger sehen und, neben anderen, Frühstücksprogramme für benachteiligte Kinder auflegen.

Einer der Führer der Organisation, Fred Hampton, der auch Gründer der antirassistischen, klassenlosen Rainbow Coalition ist, wird 1969 von Polizisten erschossen. Im Schlaf.

Staatliche Vorsorge der nachhaltigen Art.


Als Aretha im Jahr 1970 das Angebot macht, 250.000 $ Kaution für Angela Davis zu hinterlegen, kochen die Gehirne der Geheimagenten. Soweit vorhanden.

Angela Davis ist Aktivistin, Philosophin, Kommunistin und Professorin an einer kalifornischen Universität, als sie Ende der sechziger Jahre in den Blick der Justiz gerät. Sie wird der Konspiration, des Kidnapping und Mordes angeklagt. Es folgt ein umfassender Freispruch in allen Punkten. Angela Davis ist heute Mitglied der Amerikanischen Akademie der Künste und Wissenschaften.

Der Kautionsscheck ist übrigens signiert mit Aretha Franklin, Queen Mother of Soul. Eine Querverbindung zu ihrer Religiosität. Die Version Queen of Soul ist ein verkürzendes Plagiat der Musikindustrie, das wir allerdings dankbar übernommen haben.


Die Akte Aretha Franklin ist 270 Seiten lang, und ich habe sie tapfer studiert.

Was bleibt, ist die Gewissheit, dass eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart einer breit angelegten behördlichen Verschwörung ausgeliefert war.

Wir erhalten eine Lektion über die Verlorenheit staatlich bezahlter Fanatiker und Pseudopatrioten, die auf Kosten der Allgemeinheit selbst für Umstände sorgen, die es dann wiederum zu überwachen und abzustrafen gilt. Dass man sich dabei schuldig macht, versickert offenbar in der Genugtuung, einer teuflischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme angehören zu dürfen.


Es ist noch nicht einmal genügend Respekt vorhanden, den gewaltsamen Tod Reverend Franklins bis in alle Details zu verfolgen und einer schlüssigen juristischen Prozedur zu unterziehen. Bis heute ist ungeklärt, welche der fünf bis sieben Männer und Frauen überhaupt Strafen dafür erhalten haben, dass sie C. L. Franklin 1979 in seinem Privathaus überfallen und in ein fünf Jahre dauerndes Koma schießen. Er stirbt, ohne je wieder zu Bewusstsein zu kommen.


Es ist eine historische Tragödie, dass nicht einem einzigen der geistig verkommenen Staatslakaien zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur ein minimales Licht aufgegangen zu sein scheint.


Die Fragen an mich selbst lauten wie folgt:

Habe nur ich keine Aktivität Aretha Franklins entdecken können, die dazu angetan gewesen wäre, sie einer strafbaren Handlung bezichtigen zu können? Bin ich voreingenommen und ahnungslos, wenn ich ihre Verbindungen zu den Aktivisten der Zeit als absolut legal erachte? Verblendet mich gar die Absolutheit meiner Bewunderung für ihr Können?


Sehen wir doch einfach nach und lassen uns vom hauseigenen Fazit des FBI erleuchten:

Mangels ausreichender Hinweise auf eine Beteiligung Aretha Franklins an politischen Aktivitäten, heißt es in dem Papier, und angesichts ihres Ruhms als Sängerin, wäre es gegen das Interesse des FBI, sie für eine Vernehmung vorzuladen.

Ein erbärmlich peinlicher Versuch der Geschichtsklitterung.

Für unsere Jugendlichen: Geschichtsklitterung findet statt, wenn man absichtlich Zusammenhänge und historische Wahrheiten fälscht, um einen Vorteil daraus zu ziehen.

Mir ist jetzt schlecht. Ihnen wahrscheinlich auch. Wir brauchen Trost.

Bitte freuen Sie sich mit mir auf nächsten Donnerstag und die Magischen Sieben: Die Aretha Franklin-Playlist mit allen lebenswichtigen Songs der Königinmutter des Soul. Wird das ein Spaß!

Der Link zur FBI-Akte:


© Ruth Rockenschaub

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Wer nicht lesen will, muss hören!

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