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Von Bonushuren und Badehosen

Das Lied erschallt durch das gesamte riesige Haus. Der Mann singt laut und gut. Er schluchzt ein wenig dabei, und ich habe keine Ahnung, worum es in dem Text geht. Lustig scheint er nicht zu sein. Ich bin etwa sechs Jahre alt und verstehe so etwas wie Gwand ana Mero, war hier a Gwand ana Mero und denke an ein Kleid, ein G‘wand, das am Meer war.

Der Sänger ist Sénior Gomez. Er lehnt im Türrahmen zum Badezimmer, hält einen Werkzeugkoffer in der linken Hand und die rechte ans Herz. Seine Augen sind geschlossen, die oberen Zähne allesamt aus leuchtendem Gold. Schnurrbart und gewellte Haare glänzen kohlrabenschwarz und sitzen ohne Fehl und Tadel. Sénior Gomez trägt einen dunkelblauen Overall, ist unser Klempner und kommt aus Kuba. Das Lied auch. Es ist einer Guantanamera gewidmet, einer Frau aus der Stadt Guantánamo. Die ist auf Kuba und in derselben Bucht, in der sich auch heute noch das berüchtigte Straflager der Amerikaner findet, das schon Präsident Obama schließen lassen wollte und in dem gegenwärtig immer noch Menschen mit Augenbinden und auf Knien in Käfigen ausharren und den Jüngsten Tag herbeisehnen müssen. Völkerrechtswidrig. Menschenrechtswidrig.


Davon weiß die Frau aus Guantánamo nichts. Das Lied ist wesentlich älter und geht textlich auf ein Gedicht des kubanischen Poeten und Aktivisten José Martí zurück. Der Inhalt ist politisch, hat sich allerdings außerhalb der spanischsprechenden Welt ebenso abgeschliffen wie jener des italienischen Partisanenlieds Bella Ciao, das heute jeder sechsjährige Afghane kennt, ohne zu wissen, worum es darin geht.


Warum Sénior Gomez das Lied singt, ist mir nicht wichtig. Hauptsache, er vergisst es nicht, wenn er zu uns kommt. Was ihn eigentlich in die Mitte Europas verschlagen hat, frage ich mich damals nicht. Ich liebe seinen dramatischen Vortrag und habe noch keinen blassen Schimmer davon, dass mein künftiger, erwachsener Umgang mit der Klempnerei vergleichsweise ernüchternd ausfallen wird.


Nach besagter Gesangsdarbietung muss sich Sénior Gomez zunächst um unseren Schwimmer kümmern. Er steigt auf eine Leiter. „Oh, die Sbiiimer“, sagt er, und ich bin noch nicht alt genug, um mir darunter etwas anders vorzustellen als einen winzigen Mann in Badehose, der im Wasser unseres Spülkastens lebt und dem es offenbar schlecht zu gehen scheint.

Dass es dann doch alles ganz anders ist als gedacht, erfahre ich erst, als mir Sénior Gomez ein Plastikteil unter die Nase hält, das mit meiner Phantasie zügig aufräumt. Das haben Dinge aus Plastik manchmal so an sich. Mir dämmert erstmals, dass es Wörter zu geben scheint, die, je nachdem, wer sie wofür gebraucht, eine völlig andere Bedeutung haben als in meiner Vorstellung.


Mittlerweile weiß ich, dass es Fach- und Zunftsprachen gibt, die, bisweilen, beileibe nicht langweilig, so manches Mal aber unwürdig und verräterisch sind. Interessant sind sie allemal.


So findet sich, zum Beispiel, die Bonushure nicht dort, wo wir sie intuitiv verorten würden. Bonushuren sind, Überraschung, Pokerspieler, die online von Anbieter zu Anbieter ziehen, um Boni zu erspielen. Und da es sich bei dieser Zockerei nach wie vor um einen männlich dominierten Wettkampf handelt, habe ich den Begriff in entsprechender Umgebung kürzlich durch die Vokabel Bonusstricher ersetzt.

Ich hatte auf jeden Fall Spaß dabei und sogar die eine oder andere gute Hand. Irgendwoher muss die Kohle ja kommen, und mein Wortschatz hat noch einiges zu bieten.


Andererseits wäre ich im Leben nicht darauf gekommen, einem Kartenpaar aus zwei Königinnen den Namen Siegfried und Roy zu geben. Zu viel Testosteron am Spieltisch, und nicht nur dort, verringert ja nachgewiesenermaßen die Gedächtnisleistung und fördert damit die Homophobie.


Wenngleich- nicht so voreilig: Die bizarrste, erbärmlichste und lachhafteste Sprachwelt findet sich ganz, ganz tief im deutschen Wald. Dort, wo sich Hasenhasser und Idioten gute Nacht sagen, aber leider am nächsten Morgen wieder aufwachen. Es sind unsere angeblichen Heger und Pfleger, die Jäger. Männer, und immer mehr Frauen, die weder in der Lage sind, mit ihrem Geruchsorgan eine tierische Fährte aufzunehmen, dafür müssen sie Hunde benutzen, noch schnell genug, um ihrer Beute hinterherzulaufen. Dafür brauchen sie Pferde.

Die Zunftsprache der Jäger, die den ungleichen Wettbewerb um Leben oder Tod seit Jahrhunderten begleitet, hat von allen fachspezifischen Wortsammlungen die meisten Spuren in unserem Alltagsdeutsch hinterlassen. Wenn Sie jemandem auf den Leim gehen, sich etwas ans Bein binden oder von etwas Wind bekommen, sind Sie schon inmitten des betreffenden Wörterbuchs.


Wären Sprache und Bebilderung des Themas nicht gleichzeitig von überbordender Realsatire getränkt und die Fakten weniger traurig, hätten wir viel zu lachen, wenn Waidmann und Waidfrau unter ausgestopften Trophäen in ihren Wohnzimmern sitzen. Sie nageln gehäutete Kadaverteile zur Zierde an Wände und schmücken sich persönlich mit Barthaaren und Zähnen der Opfer, siehe Gamsbart am Hut und Grandeln, also Teile von Hirschgebissen, in Schmuck. Und so mancher Kolonialist lebt heute noch in Safaritrophäen, thront zwischen elefantischen Stoßzähnen und stellt den Tee auf einem Tisch aus exotischem Tierfuß ab.


Bis es allerdings überhaupt so weit ist, Jagdstolz an den Tag legen zu können, bedarf es stets diverser Aktivitäten: Es werden Luder auf dem Luderplatz abgelegt, Mönche und Mörder beim Orgeln beobachtet und Castorensäcke gesichtet. Sind Feuchtblatt und Brunftkugeln erst einmal einsatzbereit und keine Abnormen in Sicht, kann der Hund, ansprechendes Gebäude vorausgesetzt, den Truthahn beim Ständer packen. Die Schweinesonne scheint und man hofft, keine Jungfer zu absolvieren. Dann noch nachsehen, was sich in den Eisen so angesammelt hat, und abnicken, was noch nicht tot ist. Die Sache mit dem Geräusch übernimmt dann die Jungjägerin.


Ich übersetze: Luder sind tote Tiere, mit denen man andere Tiere anlockt, um sie zu erschießen und dann über noch mehr tote Tiere zu verfügen.

Mönche und Mörder sind Hirsche. Erstere gelten als Abnorme, da sie nicht über ein gängiges Geweih verfügen. Letztere haben das Pech, eine akzeptablere, längere Version des Kopfschmuckes ihr Eigen zu nennen, was in diesen Kreisen zu schnellerem Abschuss führt. Genetisches Schicksal. Orgeln geht hier ohne Tastatur und ist der tierische Soundtrack zum Anbaggern.

Feuchtblatt und Brunftkugeln sind im Genitalbereich von Schalenwild zu finden, die Castorensäcke enthalten ausnahmsweise kein radioaktives Material, sondern jenes zur Fortpflanzung des Bibers. Wenn er noch dazu kommt, bevor es knallt.

Das Gebäude des Hundes ist sein Körperbau, und da werden bei den Vierbeinern wesentlich höhere Ansprüche gestellt als in der Jägerschaft, die sich schließlich nicht umsonst so unsichtbar wie möglich macht.

Der Ständer des Truthahns ist sein Bein, aus dem sich vermutlich Ihr Frühstücksbrotbelag generiert.

Die Schweinesonne ist in Wahrheit ein Mond vor wolkenlosem Himmel, allerdings nur in nichtmuslimischen Ländern, und Jungfern gelten urplötzlich als unbeliebt, da sie eine Treibjagd ohne Beute sind.

Was sich in den Eisen, also den ausgelegten Fallen findet, und sein Leben noch nicht komplett ausgehaucht hat, wird abgenickt, also durch einen Stich ins Genick getötet. Dann kümmert sich die Jungjägerin um das Aufbrechen von Herz, Lunge, Leber und Nieren des Schalenwildes. Das nennt man Geräusch. Vielleicht deshalb, weil Bambi weint.


Wie sie sich anhand der geschilderten Einzelheiten und dem, damit einher gehenden, mörderischen Spaß unschwer vorstellen können, gibt es mittlerweile Datingportale, die ausschließlich Jägerinnen und Jägern vorbehalten sind. Spart den Mitgliedsbeitrag in jenem speziellen Sexclub, wo Kaviar, Natursekt, Tunnelspiele und Spiegelelemente gängig sind. Diese Begriffe schlagen sie jetzt gefälligst selbst nach.

Und falls sie über Dressieren, Parieren und Liaison stolpern sollten, haben sie sich vertippt. Diese Begriffe kommen aus der Welt des Kochens. Deshalb habe ich an dieser Stelle nichts zu sagen. Man muss nicht alles können wollen.

Ich mache mich jetzt auf die Pirsch nach einem Brunftstricher mit veganen Bonuskugeln. Beide untot.


© Ruth Rockenschaub

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