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BTS

„Ich habe keinen blassen Schimmer“, sagt der Mann, „was die blöde Göre an diesen Hackfressen findet.“

Er zeigt auf das Poster im Zimmer seiner vierzehnjährigen Tochter. Darauf zu sehen: Die koreanische Band BTS. Sieben porzellanhäutige, ausgesprochen gutaussehende junge Männer, deren Durchschnittsalter gegen Ende Zwanzig tendiert, das optische allerdings in Richtung fünfzehn. Wahrscheinlich rauchen sie NIVEA.

Die Haare sind pink, blau, silbern, schwarz oder auch mal goldblond, und getanzt wird, als hätte man die Choreografien schon vor der Geburt intravenös eingesogen. Die Zahl der Follower in den sozialen Netzwerken reckt sich gegen 70 Millionen.

Soweit die Eckdaten.

Kommen wir zu BTS in Ihrem Leben, geehrte Hörerinnen und Leser, sollten die makellosen Schönheiten auch Ihnen demnächst ins Haus stehen. Sie erkennen es daran, dass sich Ihr Junge oder Mädchen nur noch von Lip Gloss ernährt.


Nun greifen Sie als Erziehungsberechtigte zu einem bewährten Kunstgriff: Sie halten sich ganz lässig und ungefragt im Kinderzimmer Ihres Teenagers auf, um Schubladen, Schränke und Gewissen der Nachkommenschaft auf ihren Gesamtzustand zu kontrollieren. Der Anhang ist, wie immer, online, und Sie können ohne großen Aufwand so tun, als würden Sie sich wirklich für die Belange der stubenhockenden Heranwachsenden interessieren.

„Oh, wer ist das denn?“, fragen Sie ganz beiläufig, lassen Ihre Hand wie eine falsche Schlange auf die Schulter des Sprösslings gleiten und betrachten das Smartphonedisplay.

In Wahrheit sind Sie angesichts der auf dem Foto abgebildeten asiatischen Perfektion bereits zutiefst angewidert und neidisch.


„Mammaaaaaaaa, echt jetzt!“, wird Ihre Erbin entrüstet ausstoßen, weil sie allen Ernstes der Ansicht ist, Sie müssten Ahnung von ihren nachmittäglichen Neonplüschfantasien haben.

Die undankbare Brut schüttelt Ihre elterliche Hand ab.

„Das sind B! T! S!“

„Aha“, haken Sie scheinheilig nach. „Und was machen die so?“

Bleiben Sie jetzt geduldig, es wird sich gleich auszahlen.

„Mann, Mamma, das ist die beste Boyband der Welt!“, wird man Ihnen entgegenschleudern. „Das weiß man doch!“

„Na ja,“ müssen Sie antworten, Betonung auf müssen. „Von Boy ist da aber nicht viel zu sehen.“


Bingo! Was Mama nicht als männlich erkennt, braucht Püppi gar nicht erst anzuhimmeln. Und wenn Püppi ein Püpperich ist, schon überhaupt nicht.


Mit keiner Bemerkung kann man den Generationenkonflikt besser befeuern als durch die Infragestellung geschlechtlicher Zugehörigkeit im Falle erster Liebe. Sie trägt die westliche Kultur seit Jahrtausenden, und es läuft super.

Abfällige Bemerkungen über das Empfinden Heranwachsender tragen stets den Humor des Führers in sich und verhindern erfolgreich zu innige Bindungen zwischen Eltern und Kind.


Dem Hackfressenvater war das Totschlagargument gegen den Neigungsgau der Tochter leider nicht schnell genug eingefallen. Er kämpft manchmal mit seiner Schlagfertigkeit. Der verbalen. Also versuche ich, seinen Tag zu retten. Der Mann schuldet mir Geld.


„Das ist mir jetzt aber auch schleierhaft,“ sage ich zu ihm. „Du siehst tatsächlich tausend Mal geiler aus als diese sieben genetisch privilegierten Phantasiegebilde. Die Bierflecken auf deiner Jogginghose kann man sich ja wegdenken. Und die Plauze und die schlechten Zähne auch. Und Deine Frisur? Schmiegt sich klobrillenartig an dein edles Haupt wie Efeu an Grabstein. Rattenscharf!

Außerdem: Solltest du von deiner Pubertierenden nicht erwarten können, dass sie selbstverständlich das Gesicht des eigenen Vaters in Plakatgröße an der Dachschräge über dem Teenagerbett anbringt? Alles andere ist doch wohl realitätsferne Befehlsverweigerung.“


Ich liebe es, wenn sich Eltern über die geschmacklichen und seelischen Belange ihrer Kinder das Maul zerreißen. Die Urteile der Alten sind stets vernichtend, brutal und schonungslos. Herrlich!

Nichts befriedigt sie mehr, als ihre Nachkommenschaft schlecht dastehen zu lassen und dauerhaft zu erniedrigen. Vor fremden Leuten, in der Nachbarschaft, im Familienkreis, immer. Deshalb heißen sie Angehörige und nicht Angesehene. Und der Chillfaktor wächst proportional zum jugendlichen Hormonspiegel.


Ihnen ist sicher nicht verborgen geblieben, dass das Faszinierendste am Erwachsenwerden der ausgedehnte Gedächtnisverlust ist, der uns betreffs der eigenen Kinder- und Jugendzeit befällt.

Fragen Sie sich, warum Sie ab einem bestimmten Alter plötzlich völlig andere Musik hören wollten, nie zuvor erwogene Kleidung trugen und Gedanken hatten, die ihnen früher so fremd gewesen wären wie die Paarungsrituale der Bananenschnecken?


Martern Sie sich nicht länger, ich habe den Stein der Weisen gefunden! Sämtliche Kinder der Welt werden per Gunst des Schicksals zu einem bestimmten, diskreten Zeitpunkt unmerklich gegen Erwachsene ausgetauscht. Ersetzt. Eingewechselt wie ein gestolperter Stürmer.

Wenn Sie also wieder einmal den folgenden Satz hören: Mann, bist Du aber gewachsen, ich hätte dich kaum erkannt, dann ist es gerade wieder passiert: Urplötzlich ist, der Routine entsprechend, einer der kleinen Hosenscheißer durch einen Großen abgelöst worden und hat mit dem eigenen, früheren Ich rein gar nichts mehr zu tun. Nada! Es ist vergessen. Ausgelöscht vom barmherzigen Tipp-Ex des Lebens.

Irgendwo muss sich eine Müllhalde für entsorgte Kindheiten befinden, die nicht recycelt werden. Ein gesellschaftlicher Segen.


Vielleicht haben Sie schon einmal vom Hamburger Schulterblatt gehört. Es handelt sich um eine Straße, an deren breitester Stelle, die aufgeht wie eine Piazza, zahlreiche Cafés, Kneipen und Restaurants aneinandergereiht sind.

An sommerlichen Frühabenden bleibt kein Stuhl unbesetzt und der Lärmpegel erreicht markusplatzartige, venezianische Höhen. Es ist einige Jahreszeiten her, dass ich dort eine vielsagende Beobachtung machen durfte.


Ein recht prominenter Mann sitzt mit seiner dreijährigen Tochter in größerer Runde auf den Bierbänken vor einer Kneipe. Es ist nicht auszumachen, worüber sich unterhalten wird. Soweit ich aus meinem anhaltend im Stau eingeklemmten Auto erkennen kann, ist die Stimmung allerdings ausgelassen. Plötzlich zieht das Kind am Ärmel des Vaters und sagt ihm etwas ins Ohr. Der Mann steht auf, redet kurz auf das Mädchen ein und schiebt es zügig in Richtung Bordsteinkante.

Dort angekommen fasst er unter das Sommerkleid und zieht das Höschen seiner Tochter bis an die Fesseln herunter. Längst wird mit so manchem Finger auf das Duo gezeigt und allgemeine Heiterkeit entsteht. Warum das Mädchen zu weinen beginnt, ist mir bis heute schleierhaft. Dann hält der Vater die Tochter in hockender Position über den Rinnstein, bis sie schließlich Wasser lassen kann. Es dauert eine Weile. Manche Kinder brauchen eben für alles länger. Da ist Engelsgeduld gefragt.


Wenigstens können sich die beiden nicht über einen Mangel an Resonanz beklagen: Hunderte von Gästen und eine Reihe Fahrer im Stau haben ihren Spaß an der Vorstellung, und es darf sekündlich mit stehenden Ovationen gerechnet werden.

Leider hält das undankbare Mädchen nicht lange genug durch. Beim Abschütteln, das Toilettenpapier am Rinnstein ist offenbar ausgegangen, gebärdet es sich trotzig, verdeckt sein Gesicht und die Laune des Vaters gerät erheblich in Gefahr.


Wäre es für das Kind nicht lohnender, dieses Ereignis als lehrreiche, erfüllende Vorbereitung auf ein Leben als selbstbestimmte, mutige Frau zu betrachten?

Oder gehört es etwa zu jenen, die vielleicht später gar keine werden wollen? Das weiß man ja heutzutage alles nicht. Vielleicht spielt es mit dem Gedanken, eher als Mann leben zu wollen. Oder irgendetwas dazwischen. Oder mal so und mal so. Ein weiteres pädagogisches Dilemma, liebe Hörerinnen und Leser.


Ich warne Sie! Lassen Sie sich als Vorgesetzte bei diesem Thema auf keinerlei Diskussionen ein! Weder muss das Kind wissen, dass es sich bei diesem Transgenderzeugs keineswegs um ein modernes Phänomen handelt – Transkinder gab es schon immer, und das seit mehr als einhundert Jahren und ganz ohne TikTok durchaus dokumentiert.

Sie werden der Querulantin auch nicht erzählen, dass es Kulturen gibt, in denen ein Leben zwischen den Geschlechtern nicht nur problemlos, sondern eine Besonderheit ist, die Würdigung erfährt. Ich nenne stellvertretend Samoa.

Immer schön den Mund halten, liebe Eltern!


Machen Sie es einfach wie die Türkei: Dort hat man regierungsseitig festgestellt, dass es zweierlei Menschen gibt: Männer und Frauen. In dieser Reihenfolge. Wer sich nicht eindeutig zuordnen lassen möchte oder kann, stellt eine Gefahr für die herrschende Gesellschaftsordnung dar und verbleibe gefälligst unsichtbar. Oder im Ausland.


Bei den Mitgliedern von BTS konnte das türkische Familienministerium keine eindeutige Geschlechtszugehörigkeit feststellen. Folge: Einstufung als jugendgefährdend und fortgesetzte Überwachung aller Aktivitäten der Band. Man unterstellt ihr, eine geschlechtslose Gesellschaft anzustreben und so das gängige, traditionell gültige Modell unterlaufen zu wollen.

Mittels einer staatlichen App hat die Bevölkerung die Möglichkeit, weitere verdächtige Umtriebe zu melden, um der hormonellen Verirrung am Bosporus Herr zu werden.


Wie, um Himmels Willen, soll man mit Menschen umgehen, die sich nicht einsortieren lassen? Wo bleiben Fortpflanzung und Familienglück? Vor welchem Publikum soll Präsident Erdoğan denn sprechen, bitte, wenn alle gleich aussehen und deshalb nicht mehr ins Stadion dürfen?


Ich brauche dringend eine Denkpause und schlage zur Entspannung mal die oben genannten Bananenschnecken nach. Und: Holla, die Waldfee, kann ich nur sagen!

Ein hoher Prozentsatz der Bananenschneckenmänner ist auf ein Leben ohne Penis angewiesen. Oh! Mein! Gott! Welch glücklicher Umstand, dass die in der Türkei nicht vorkommen. Der Rest der Damen und Herren sind Hermaphroditen, also weder Jungs noch Mädels, sondern beides zugleich. Und: Spoiler alert! Eine der Arten zeichnet sich dadurch aus, dem Partner beim Geschlechtsakt den Penis abzubeißen.

Also, das ist mir alles zu animalisch und brutal!


Ich bringe jetzt ein Paket zur Post. Darin: Eine aktuelle Farbauswahl an Lip Gloss und eine Karte. Darauf: Sehr geehrter Herr Erdoğan, nur Mut! Auf den blassen Schimmer kommt es an!


© Ruth Rockenschaub

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