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Richterin mit Peitsche

Es gibt Zeiten, da sollte man sich von Menschen fernhalten. Ja. Zumal an Tagen, an denen man das Gefühl hat, es handele sich bei ihnen um ein merkwürdiges Gemenge von Wesen mit abgeknickten Antennen.

Gelingt einem das, kann man in Ruhe die eigenen Erwartungen ans Leben pflegen und alles Ungereimte in den Bereich der Sinnestäuschung verbannen. Herrlich.


Manchmal jedoch hilft alles nichts, und man steckt in allerkürzester Zeit im unsäglichen Horror der Mittelmäßigkeit anderer Leute. Man muss sich ihrer Gegenwart schämen und ihrer Vehemenz emotional erwehren. Nicht schön.


Kürzlich schlug mein Schicksal gnadenlos zu, und ich kam mit einer deutschen Staatsbeamtin ins Gespräch. Richterin. Sie war relativ jung und verfolgt ihre Tätigkeit in einer hiesigen Großstadt, der, wie den meisten urbanen Konstrukten auf deutschem Boden, eine erkleckliche Dosis Provinzialität innewohnt.


Wenn man ganz ehrlich ist, sind Unterhaltungen mit den Vertreterinnen bestimmter Berufsgruppen von Zeit zu Zeit ja durchaus angebracht. Das ist einer der wenigen Gründe dafür, dass Juristinnen, Friseure oder Ärzte überhaupt auf Partys eingeladen werden. Man kann, im Vorbeigehen, wichtige Fragen des Alltags klären, ohne gleich horrende Gebühren entrichten oder sich hässliche Salons mit Lichterkettendekoration und Vintagewerbeschildern antun zu müssen.


Für gewöhnlich würde ich immer davon ausgehen, dass eine Fachkraft aus dem Bereich der Jurisprudenz von einer gewissen Klugheit durchblutet ist. Ich durfte in meinem Leben wahrlich unmenschliche, fragwürdige, faule, schamlose, korrupte und gewissenlose Könner in diesem Tätigkeitsfeld beobachten. Unterbelichtet war keiner von Ihnen.


Ich stehe also in einer Galerie, in der eine Ausstellung meiner eigenen Bilder stattindet, und besagte Dame gesellt sich zu mir.

Sie war nicht gekommen, um sich die Gemälde anzusehen, sondern, weil sie vor Ort verabredet war. Soviel war mir bekannt, und ich hätte gewarnt sein müssen.


Eine juristische Frage meinerseits, die dringender Gratisantwort bedurft hätte, stand gerade nicht an und die allgemeine Lage im Land war dergestalt, dass man sich nur unter schrecklichen Qualen darüber hätte unterhalten können. Das augenfälligste Thema schied für eine Konversation also absolut aus.

Wie nicht anders zu erwarten, lag die schwere Duftwolke der Banalität schnell und deutlich in der Luft, und ich lief Gefahr mich, gezwungener Maßen, mit Inhalten wie Wetter oder gar Familienplanung befassen zu müssen, was es unbedingt zu verhindern galt.

Also warf ich tapfer, zeitkritisch und ausgesprochen unterhaltsam ein wesentlich drängenderes Sujet in die lauschige Zweierrunde: Die Lage der Kunst, wusste ich zu berichten, sei zur Zeit durch gewisse politische Entscheidungen äußerst prekär, aber davon dürfe man sich gar nicht entmutigen lassen, da es ausschließlich die Kunst ist, die bis in alle Ewigkeiten Bestand haben wird. Nur sie vermag sich gegen sämtliche möglichen Anfeindungen durchsetzen.

Gigantische Weltreiche? Weg. Diktatoren und andere politische Deppen? Weg. Epochenübergreifender, besoffener Zeitgeist? Weg.

Die erledigen sich alle von selbst, verschwinden im historischen Fegefeuer der vermeintlichen Bedeutung und danach sofort in der dazugehörigen Hölle namens Versenkung. Kunst bleibt für immer. Gehen Sie mal ins nächstgelegene Museum.


Zwischenbemerkung: Als Künstlerin sorgt man ja zwangsläufig dafür, dass es dem Publikum, dem es gemeinhin besser geht als einem selbst, tunlichst noch besser geht, sobald es einem selbst schlechter geht. Das ist unsere Aufgabe als Kulturschaffende. Wir sind Hofnarren. Wir sind einsame Illusionisten. Wir zaubern Dinge, die man nicht messen kann und deren Stellenwert unüberprüfbar bleibt, weil sie nicht verpflichtet sind, einen solchen überhaupt zu erbringen.

Wir vertiefen die Geheimnisse der Welt auf unnachahmliche Weise, allerdings immer mit dem Risiko, innerhalb eines Satzes beneidet und verachtet zu werden. Das sollte man bei der Berufswahl bedenken.


Um von meinem Gegenüber nicht sofort als polemisch abgestempelt zu werden und meinen Grundgedanken zu verfeinern, warf ich noch einen durchaus praktisch gemeinten Satz in unseren beginnenden Gedankenaustausch: Dass es nämlich, aus meinem Blickwinkel, äußerst bedauerlich ist, die Protagonisten aller Künste im echten Leben so oft ausgesprochen schlecht behandelt zu wissen, wie es seit Jahrhunderten nachweislich geschieht. Sie erkennen meinen weltumspannenden, geschichtsträchtigen und sozialkritischen Ansatz.


Mit einem verbalen, richterlichen Peitschenhieb wurde ich postwendend daran erinnert, dass es gegenwärtig, weiß Gott, um ganz andere Dinge gehe.

Ein Ablenkungsmanöver.

Ich fasste also ganz tief in meine Trickkiste und fragte die junge Frau umgehend, welchen Sinn Kunst für sie eigentlich habe. Die Aufforderung, dies beantwortet haben zu wollen, bringt Menschen oft nicht weniger in Bedrängnis als die Frage nach dem Sinn des Lebens.


Ich war also gespannt und hatte das untrügliche Gefühl, der absolute Höhepunkt meiner Konversation mit der Staatsdienerin sei sekündlich erreicht, da kroch sie auch schon unter dem Talar hervor, die hässliche Fratze des Totschlagarguments: Es formte sich ein Sätzchen für die Ewigkeit, dessen entlarvender Inhalt meine kühnsten Alpträume bei weitem übertraf:

„Kunst“, quoll es aus dem blassen Juristinnenmündchen, „hat überhaupt nur einen einzigen Zweck: Sie ist ausschließlich dazu da, sich zu verkaufen. Einen anderen Sinn gibt es nicht. Punkt.“

Da verschlug es mir, ehrlich gesagt, für Bruchteile von Sekunden so die Sprache, wie ich es mir oft erfolglos von Politikern wünsche, nämlich völlig.

Ich beruhigte mich zunächst innerlich mit einem Zitat des spanischen Malers Miquel Barceló:

„Jedes Kunstwerk ist im Grunde Widerstand gegen die Dummheit, denn, kurz gesagt, was uns bedroht ist die Dummheit, und die Kunst ist wie ein Rettungsfloß vor der Dummheit.“


Gleich darauf hatte ich meinen unerschütterlichen, legendären Humor wiedergefunden und gab meinem Bedauern darüber Ausdruck, dass Wolfgang Beltracchi, der genialische Kunstinterpret, offenbar Pech gehabt hat und in seinem Verfahren an die falsche Richterin geraten ist.


Erinnern wir uns kurz: Beltracchis einzige Absicht war es gewesen, den diskreten Charme des Geldes leben zu können und dabei unentdeckt zu bleiben. Hierfür bediente er sich der künstlerischen Handschrift berühmter Artisten jeglicher Richtung und malte Nachahmungen, die sich verkauften wie geschnitten Brot. Der Kunstmarkt, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, ist extrem gierig.


Die Methode Beltracchi funktionierte jahrelang, und ich möchte nicht wissen, wie oft man in den Musentempeln und Galerien der Welt immer noch ahnungslos vor einem Beltracchi steht, völlig hingerissen von einem originalen Schlüsselwerk der Moderne, das gar keines sein kann.


Leider stolperte der Mann über eine Tube Zinkweiß, die er für ein Bild von Campendonk verwendet hatte und wurde erwischt. Die Farbe enthielt Titanoxyd, und das war unzeitgemäß, da erst später in Gebrauch. Künstlerpech wegen temporärer Nachlässigkeit.

Rechtlich handelte es sich, durch das Anbringen falscher Stempel und Signaturen durch Beltracchi, um Urkundenfälschung. Letzteres macht heute jeder Paketbote ungestraft.


Beltracchi und seine konspirierende, symbiotische Gattin wanderten also in den Knast, und die behagliche Anonymität hatte sich erledigt.


Heutzutage, nach seiner Entlassung, verrichtet der Mann unwürdige Arbeiten, indem er, unter anderem, für den TV-Sender 3sat Porträts von teils leicht abgestandenen Promis in klassischen Stilrichtungen auf die Leinwand bringt. Er wirkt dabei stets ein wenig strapaziert, weil, vermutlich unterfordert und gelangweilt.


Nicht auszudenken, hätte Wolfgang Beltracchi vor meiner Richterin gestanden. Es hätten sich unbegrenzte Möglichkeiten aufgetan!

Beltracchi hätte mit der ihm eigenen Art und leicht gespitzten Lippen erklärt, seine Kunst sei ausschließlich dazu da, sich zu verkaufen, und niemand hätte das besser verstanden als unsere Volljuristin.

Hach, wirklich schade, dass sich die zwei nicht über den Weg gelaufen sind.

Tja, Karma is a bitch.


Der leidenschaftliche Van Gogh hingegen hätte seine Probleme mit der Kulturbanausin gehabt und sich garantiert vor Wut ein Ohr abgeschnitten.


© Ruth Rockenschaub

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