Wer sich gern und regelmäßig entrüstet, so wie ich, muss viel wissen wollen. Schließlich kann jede Information von lebenswichtiger Bedeutung sein.
Momentan kümmere ich mich gleichzeitig um zwei unwiderstehliche, aber sehr verschiedenartige Themen. Erstens: Die satanischen Umstyling-Rituale an schaumgeschlagenen Kleiderständern in einer Reality-Trash-TV-Serie und, zweitens, das Voranschreiten der Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz.
Zum einen muss man wissen, welche künftige Topmodelknallcharge sich bei der Quasifolter Haareschneiden schluchzend in die Besinnungslosigkeit schraubt, zum anderen, wann die natürliche Intelligenz endgültig ausgedient haben wird.
Genial oder trivial, mich interessiert einfach alles.
Umso größer fiel meine Bestürzung aus, als mir kürzlich jemand, eher beiläufig, erzählte, sie sei zu einer Putzparty eingeladen.
Und sofort enthüllte sich die ganze unheilvolle und eigentliche Wucht des Themas:
Ich, die zu jeder Materie augenblicklich eine fundierte Faktensammlung inklusive Meinung hat, war absolut ahnungslos! Putzparty! Noch nie gehört! Was für eine Erniedrigung!
Zunächst wurde geklärt, dass es sich keinesfalls um ein Ereignis mit erotischer Komponente handeln würde. Man hörte ja schon von schlecht gebauten Laiendarstellern, die für Mindestlohn in Kellnerinnenschürzchen vor lechzenden, desperaten Hausfrauen auftreten müssen. Das also schon mal nicht.
Bezogen auf die Kulturgeschichte der Party, das sei an dieser Stelle erklärt, komme ich aus einer anderen Zeit. Bei unseren Zusammenkünften fand jegliches nur Denk- und Unsagbare statt, ohne der betreffenden Feierei gleich einen erklärenden Titel verleihen zu müssen.
Weder gab es eine Lass-uns-mal-alles-ausprobieren-was-heute-Abend-zufällig-an-Drogen-auf-den-Couchtisch-kommt-Party, noch eine Nach-dem-Auftritt-der-Band-haben-wir-alle-mit-allen-hemmungslosen-Sex-in-der-Vierquadratmetergarderobe-Party oder gar eine Heute-fälschen-wir-mal-eben-alle-Scheine-für-sämtliche-Vorlesungen-die-wir-nie-besucht-haben-Party.
Nein. Derartiges war unnötig, da man kollektiv antrat, um ein Optimum an ekstatischer Lebensfreude in die Tat umzusetzen. Und zwar täglich. Unsere Vergnügungen brauchten keine Namen. Namen sind Freiheitsberaubung.
Und nun also gemeinsames Putzen. Das macht man doch noch nicht mal alleine, geschweige denn zum Vergnügen. Schon die Kombination der Begriffe putzen und Party stellt eine sprachliche und inhaltliche Zumutung dar.
Gut, ich hatte mal einen Nachbarn, der die Fugen zwischen den Fliesen in seinem Badezimmer mit Wattestäbchen gesäubert hat. Aber gleich eine ganze Party? Wie viele Leute mit Wattestäbchen passen, bitte, in eine Duschwanne?
Durch meine Ahnungslosigkeit schwerwiegender düpiert als anlässlich meines Unvermögens, eine Treppe scheuern zu wollen, begab ich mich auf eine offenbar dringend angeratene Recherche. Und tatsächlich: Es gibt nicht einen einzigen Lebensbereich, für den heutzutage keine passende Party angeboten würde, wobei man für die Kategorie Beerdigung eventuell eine andere Vokabel nutzen könnte, aber selbst da bin ich mittlerweile nicht mehr sicher.
Den vorliegenden Informationen durfte ich entnehmen, dass bundesweit aktuell mehrere Tausend Beraterinnen und Berater hauptberuflich in der Partyorganisation tätig sind.
Und es kam noch schlimmer: War ich bis dato davon ausgegangen, der gemeinsame Spaß bestünde im synchronen Wischen von Flächen, dem Betasten veganer Sexspielzeuge im Uhrzeigersinn oder der Diskussion über die neueste Haute Couture- Kollektion im Bereich Kleintiermode, wurde ich schnell eines Besseren belehrt: Es geht ausschließlich darum, im Rahmen dieser Partys Produkte an Gäste zu verkaufen.
Also vergleichsweise so, als hätten wir für die Teilnahme an der Nach-dem-Auftritt-der-Band-haben-wir-alle-mit-allen-hemmungslosen-Sex-in-der-Vierquadratmetergarderobe-Party Eintritt verlangt.
Wer macht denn so etwas?
Auf der Homepage der Reinlichkeitsprofis erfuhr ich dann, dass es durchaus lohnend sein kann, eine Putzparty zu veranstalten, da die Gastgeberin ein Geschenk erhält.
Das betreffende Werbefoto zeigt einen jungen Mann, Typ Mark Forster, Sänger, der der Gastgeberin eine geöffnete 300ml- Plastikdose mit kokainfarbenem Inhalt und einen grauen Putzlappen übergibt. Da kann man als Frau nicht klagen.
Und weil die Party wahlweise auch online ausgerichtet werden kann, habe ich vorsorglich per Mail angefragt, auf welchem Weg das schneeweiße Pulver zuverlässig herangeschafft werden könnte. Zur Not auch ohne Veranstaltung.
Ich war, zugegebenermaßen, elektrisiert und festen Willens, mich partymäßig, im Vergleich zu früher, erheblich weiterzubilden.
Da ich offenbar nicht über einen Freundeskreis verfüge, dem ich es wert wäre, für Ereignisse dieser Art überhaupt eine Einladung zu bekommen- vermutlich feiert man heimlich Indiskretionspartys, auf denen Fettnäpfchen vertickt werden- musste ich vorlegen und hielt mich dabei andächtig an die große Feminstin Kim Kardashian und eine ihrer fantastischen Wahrheiten: „The crown is heavy, but the Queen is strong.“
Da Putzen nicht in Frage kam und alle anderen kommerziellen Bereiche durchdekliniert waren, suchte ich nach einer sinnstiftenden Alternative und war sicher, rasch fündig geworden zu sein, kaum hatte ich den Link geöffnet und das Foto gesehen:
Ein Wohnzimmertisch. Darauf zwei leere Gläser und eine ausgetrunkene Flasche Sekt der Marke Rotkäppchen, wiederverschlossen mit dem typischen erdbeerfarbenen Plastikkorken. Achtung: Versteckter Hinweis auf Baywatch!
Hinten ein Fenster mit künstlichen Pflanzen. Magnolie, Orchidee, Grünes.
Den Mittelpunkt des Fotos bildet ein weißes Sofa.
Darauf, ordentlich von groß nach klein sortiert, vier Puppen, allesamt mit geschlossenen Augen und leicht geöffneten Mündern. Sie scheinen auf Erregendes gefasst. Vor ihnen drei aufgeblasene Luftballons in Gelb, Orange und Hellblau. Vorboten des Frohsinns.
Damit es beim Feiern nicht zu verunreinigenden Flecken kommt, wurde dem Quartett eine hellgraue Decke untergelegt.
Die drei kleineren Puppen, eindeutig als Jungen identifizierbar, verfügen über Gliedmaßen. Der Große ganz links, Typ alleinerziehender Vater, trägt eine neongrüne, ehemals technotaugliche Windjacke und schlecht gefärbte, schwarze Haare. Er hat weder Unterleib noch Beine und Arme. Vermutlich eine Folge hemmungslosen Sektkonsums.
Man hat es aufgrund meiner Beschreibung garantiert längst erraten: Die Anbieter haben sich auf Erste Hilfe-Partys spezialisiert und üben Notfallsituationen mit Gästen.
Wir erinnern uns an die Reanimation Erster Hilfe-Puppen zugunsten des Führerscheins. Das war doch der Übermut in Tüten!
Und Identisches gibt es nun endlich auch für ganz privat.
Kann es ein ausgelasseneres Partyspiel geben als zu den dröhnenden Disco-Beats von Don’t Leave Me This Way Brustkörbe freizulegen und hundert Mal pro Minute kräftig zuzudrücken? Von den zugehaltenen Nasen bei der Mund-zu-Mund-Beatmung will ich gar nicht erst anfangen, bevor die 300 ml-Plastikdose eingetroffen ist.
Natürlich habe ich sofort gebucht, und siehe da, auch hier heißt es: „Sie als Gastgeber erhalten ein kleines Geschenk.“ Grandios!
Ich nehme die stabile Seitenlage mit Sekt und Sänger.
© Ruth Rockenschaub
Freundlichst unterstützt durch www.studiofunk.de
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