Bis vor einigen Jahren gab es auf der Großen Freiheit in Hamburg St. Pauli, wenn man von der Reeperbahn kam, gleich links einen EC-Automaten, über dem sich ein weltweit einzigartiges Geldautomatenhinweisschild befand. Es zeigte eine Dame, die sexy an einer vertikalen Stange tanzte. Sie trug High Heels und hatte den Oberkörper sehr weit nach hinten gebogen. Noch schien sie nichts an der Wirbelsäule zu haben. Allerdings fehlte ihr ein Arm, was bei Frauen mit derartiger Gelenkigkeit aber ebenso wenig ins Gewicht fällt als wären sie dick oder doof.
Die Brüste der Tänzerin ragten senkrecht in den Himmel wie die Zwiebeltürme der Frauenkirche zu München, und der lange, flatternde Pferdeschwanz erinnerte an ein Eichhörnchen im Sturzflug. Das war sehr verheißungsvoll.
In unseren Breiten läuft diese körperliche Betätigung unter Pole Dance, also Tanz an einer Stange. Der Ursprung allerdings ist weiter östlich zu verorten.
Der indische Subkontinent hat sich ja schon oft damit hervorgetan, uns wertvolle Kulturgüter zu übermitteln – ich erinnere an Lachyoga von der Krankenkasse oder Sex Gurus mit coolen Autos, aber das mit der Performance an der Stange freut mich besonders: Aus der Mitte einer Hochkultur ins Herz westlicher Amüsierviertel und weit darüber hinaus.
In Asien kennt man den virtuosen Zeitvertreib seit mindestens neunhundert Jahren. Es geht in Windeseile die Stange hinauf und hinunter, Gliedmaßen werden bis zur Unkenntlichkeit verknotet, Beine hinter Köpfe geklemmt und Abgänge mit Salti garniert.
Das ist virtuos und sieht sehr gefährlich aus. Wenigstens für meinen Geschmack. Aber ich habe auch noch nie versucht, eine Stange ausschließlich mit der Halswirbelsäule einzuklemmen und ansonsten frei schwebend in der Luft zu verharren. Dafür war ich immer zu schlecht in Physik.
Hierzulande hat diese Tanzvariante einen erotischen Unterton. Das mag daran liegen, dass sie diesen Umweg über Rotlichtbezirke, Gunstgewerbe und Rap-Videos genommen hat, bevor sie in deutschen Pole Dance Studios für Laien landete. Diese Herkunft sollte Sie nicht erschrecken. Vergleichen Sie mit einem Beispiel aus dem Bereich der Arbeitskleidung: Was noch vor wenigen Jahren als typischer Nuttenfummel galt, mit dem man in der nächsten Absteige das Geschäft des Tages machen konnte, ist heute in jeder fünften Klasse einer Gemeinschaftsschule gängiges Outfit. Die Welt fährt stets per Anhalter mit der herrschenden Frauenmode, während Männer seit Jahrhunderten die gleichen langweiligen Klamotten tragen müssen und darauf warten, mitgenommen zu werden.
Was mich allerdings ernsthaft verblüfft, ist die Tatsache, dass es sich bei der sportlichen Aktivität an der Stange historisch um eine Männerdomäne handelt: Die Herren bemühen sich um möglichst viel körperlichen Ausdruck. Die Damen sehen zu. So, wie es sich gehört. Heutzutage ist es plötzlich umgekehrt. Was mag der Grund dafür sein?
In Ägypten brauchen wir gar nicht erst nachzufragen. Dort findet man tanzende Frauen an Stangen provokant. Verpöntes, unstatthaftes Körperbewusstsein. Am Nil werden weibliche Körper derzeit niemals von Frauen selbst wahrgenommen. Dafür sind ausschließlich Männer zuständig. Zum Beispiel anlässlich öffentlicher Jungfrauentests.
Diese werden von Soldaten vorgenommen, die auf Straßen und Plätzen mit einem Griff in den Schritt von Frauen fassen, um deren Jungfernhäutchen zu kontrollieren. So viel Fingerfertigkeit auf Befehl muss einem Respekt abringen. Was für ein toller Überraschungseffekt beim Spaziergehen! Das will ich auch: Vor Zuschauern mit mutigem Vorstoß das Gemächt von Männern auf seine Tauglichkeit überprüfen.
Als Austragungsort denke ich an das Miniaturwunderland in Hamburg. Das macht was her, und es könnte sehr gesellig werden.
Um der maskulinen Tradition des Stangentanzes zumindest hierzulande die Ehre zu erweisen und ein Exempel zu statuieren, entschied ich mich dafür, meinem Freund die Teilnahme an einem frauendominierten Pole Dance Kurs zu befehlen und ihn dort ins akrobatische Rennen zu schicken. Ich war zu und zu neugierig, was moderne Frauen antreibt, genau das zu tun, was sie sich locker vom Sofa aus ansehen könnten, während sich die Herren abplagen.
Zur Vorbereitung haben wir uns HUSTLERS angesehen. Den Film, in dem Jennifer Lopez, der heißeste Rückenmuskel des Universums, Ramona spielt. Ramona ist eine professionelle Tänzerin. Bei ihrem Kopfüberspagat an der Stange, und ich spreche von exactly 180 Grad Spreizung, reist unser Durchblick zunächst zwischen ihre Beine, danach unter dem Atlantik hindurch bis hinauf zu ihren Mandeln. Wenn bei Lopez das Becken kreist, erklingt Musik, wenn ihre Unterschenkel das gesamte Körpergewicht an der Stange zu halten haben, kommt kein einziger Schmerzensschrei. Sie klettert an dem rotierenden Metall nach oben wie ein gedopter Radfahrer die steilste Etappe der Tour de France und zählt dabei auch noch die Scheine, die ihr begeistert zugeworfen werden, und das nicht zu knapp. Genau hier schließt sich dann der Kreis zum oben beschriebenen Geldautomaten.
Derart konditioniert in einen Anfängerinnenkurs gehen zu dürfen, ist für einen Mann ein lebensveränderndes Geschenk. Ich war mir meiner Verantwortung bewusst: Von blauen Flecken, Hautabschürfungen und Verletzungen durch die Reibung beim Rutschen an der Stange habe ich im Vorwege nichts verlauten lassen. Warum sollte ausgerechnet ich die Überbringerin der vernichtenden Botschaft sein.
Wenig später werde ich eines Besseren belehrt: Der Mann kommt nach Hause und ist nicht weniger als erleuchtet!
Er hat beim Pole Dance ausnahmslos ehrgeizige Latein- und Mathematiklehrerinnen kennengelernt, die sich animiert fühlen, die laszive Leibesübung pedantisch genau von Grund auf zu erlernen. Vermutlich sind sie im Schuldienst einfach nicht ausgelastet oder haben andere Schwierigkeiten.
Die Optik, sagt er, war im Schnitt aufsehenerregend und monumental. Haben Sie schon einmal zugesehen, wenn in Ihrem türkischen Lieblingsimbiss der leckere, frische Dönerspieß mit dem rohen Hühnerfleisch hochgehievt und die Folie langsam entfernt wird?
Falls ja, sind Sie perfekt im Bilde: Unsere Pädagoginnen klammern sich an ihre Pole Dance Stangen wie lecker geschnetzeltes, in Kegelform gepresstes Frischfleisch an den Drehspieß! Das hat Stil. Das hat Anmut und Grazie. Becken lernen erste Rotationen auswendig, Gliedmaßen überwinden sich, schonungslosen Schraubstöcken gleich, nicht lockerzulassen.
Mehr noch: Die Damen tragen dabei die vorteilhaften Turnklamotten ihrer Mütter aus den Siebzigern auf. Ein wunderschöner Recyclinggedanke, den man auch einmal in den Schulsport einbringen könnte.
Und die Ladies legen Haltung an den Tag. Haltung nennt man in Deutschland das, was in anderen Kulturen mit Spaß verwässert wird. Hier bei uns hat man Ehrgeiz. Besonders als Frau. Wenn schon keine Kohle, dann wenigstens Schweiß und Tränen.
Einige der Stangendamen ziehen sich binnen Minuten schwerste Blutergüsse an den Innenseiten der Oberschenkel zu, denn so ein Döner wiegt gern mal bis zu 120 Kilogramm. Man hört in den Videos, die die Gruppe von sich selbst macht und sofort bei Instagram hochlädt, ganz deutlich die Begriffe Globuli und Arnikasalbe, was den sinnlichen Aspekt dieser Sportart perfekt unterstreicht.
Eine der Teilnehmerinnen erzählt, den Kurs zu machen, weil sie sich brennend für einen Mann interessiert, der allerdings unter einer Allergie leidet. Gegen sie. Immer wenn sie sich sehen, bekommt er Ausschlag. Die junge Frau hofft nun, ihn durch die eine oder andere Stangennummer derart für sich einzunehmen, dass er gesundet. Sie baut auf ein Wunder: Sexual Healing.
Eine andere übt im Hintergrund sehr leidenschaftlich eine ungeheuer interessante Figur, den Superman: Stange vertikal, verbeamtete Fachkraft horizontal an Stange. Letztere ganz oben im Schritt zwischen die Schenkel geklemmt. Fußspitzen stark gestreckt, linke Hand hält Stange, rechte Hand ist, einen Hauch eleganter als Hitlergruß, nach vorne oben gereckt. Das suggeriert Flugbahn und Geschwindigkeit. Mit der freien Hand könnte man lässig nebenher ein paar Mathetests korrigieren.
Was fällt Ihnen an dieser Figur auf? Denken Sie nach! Richtig! Selbst wenn Frauen sich anstrengen bis die Haut in Fetzen hängt, heißt die Figur Superman! Was wurde aus Superwoman, bitte? In Lehrerfrühpension wegen fehlender Erholungspausen im Beruf?
Es ist übrigens genau diese Teilnehmerin, die sogar in Erwägung zieht, sich eine Pole Dance Stange für zu Hause zuzulegen und ihren zwiespältigen, heimlichen Liebhaber damit derart zu begeistern, dass er ihr nicht noch weniger schenkt als keine Aufmerksamkeit.
Ich gebe es ungern zu, aber diese gut ausgebildeten, putzigen Staatsdienerinnen könnten mir tatsächlich zum Vorbild gereichen. Wer sich als Frau, ohne jegliche Garantie auf Erfolg, derart zu plagen in der Lage sieht, während sich testosterontrunkene Allergiker und begeisterungsfreie Gleichgültige heimlich auf die hämatomfreien Oberschenkel schlagen, hat sich einen Heiligenschein verdient.
Mein Freund will da übrigens nicht mehr hin. Er sagt, die Sache mit der Stange hätte etwas von freiwilliger Feuerwehrübung mit unzureichender Fallhöhe.
Das fand ich einen Hauch undankbar, aber dann machen wir eben etwas anderes: Ich habe diesmal eine finnische Sportart ausgesucht: Frauentragen. 253,5 Meter weit, inklusive zweier tieferer Wassergräben. Die Frau muss dafür mindestens 49 Kilo wiegen und älter als siebzehn Jahre sein. Und wieder einmal bin ich in allen Aspekten um ein Vielfaches überqualifiziert.
Ach ja, nur, damit keine Missverständnisse aufkommen: Mann trägt Frau.
© Ruth Rockenschaub
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