Die zwei wichtigsten Tage im Leben sind der Tag, an dem man geboren wird und der Tag, an dem man herausfindet, warum. Mark Twain
Wenn Sie meinen Beitrag LEITPLANKENGEDANKEN TEIL 1 gelesen haben, was ich schwer hoffen will, wissen Sie, dass mich Autofahren immer zum Nachdenken zwingt. Oder umgekehrt.
Heute habe ich eine relativ lange Strecke ins anderssprachige Ausland vor mir. Dort gibt es grammatikalisch nur zwei Geschlechter. Das ist brisant. Genau wie das Thema des Tages. Mir ist nämlich im Moment ziemlich philosophisch zumute, weil ich gestern einen Schock erlitten habe.
Ich stolperte über eine Abbildung, die fünf verschiedene Lebewesen in ihren Entwicklungsstadien vom Embryo bis zur Geburt zeigt: Vier Tiere und einen Menschen. Und was soll ich sagen? Die sahen aus wie eineiige Fünflinge! Die Ähnlichkeiten waren erschütternd. Am extremsten ist die Sache mit dem Huhn. Mensch und Geflügel unterscheiden sich vorgeburtlich allerhöchstens dadurch, dass das Tier so riesige Augenringe hat, als habe es nächtelang in der Disco durchgetanzt. Der Homo Sapiens hingegen macht das, was er auch später zu Lebzeiten am liebsten und längsten tut, nämlich schlafen. Hühner mit einem gesunden Biorhythmusgefühl haben also schon vor dem Schlüpfen mehr Spaß am Leben.
Statistisch sei angemerkt, dass von den Abgebildeten, wenn sie dann erst auf der Welt sind, eine der Kreaturen alle anderen in Form von Nahrung zu sich nimmt, und das ist der Mensch. Weder fressen sich die vier Tiere untereinander, noch nehmen sie uns als appetitlich wahr. Keiner Kuh, keinem Schwein oder Kaninchen läuft beim Anblick eines Zweibeiners das Wasser im Maul zusammen. Und das Huhn hat sowieso längst andere Pläne.
Nun arbeiten japanische Forscher seit einiger Zeit fieberhaft an der Geburt von Chimären. Das sind Mischwesen aus Mensch und Tier, also, zum Beispiel, Schweine mit menschlichen Bauchspeicheldrüsen.
Und da wird es natürlich interessant: Wenn bisher nur die einen die anderen gefressen haben und jetzt aber die einen in den anderen enthalten sind wie die Kirsche in einem Mon Chérie, wer wird dann künftig wen verzehren? Und in welcher Form, bitte? Menschen McNuggets? Ein echtes Happy Meal! Hoffentlich ist diesmal ein schönes Spielzeug dabei. Ich wünsche mir schon so lange eine Kettensäge.
Ich habe das sichere Gefühl, dass die Krone der Schöpfung, also eindeutig das Tier, eine stark aufsteigende Tendenz zu verzeichnen hat.
Vielleicht ist es Ihnen bisher nicht aufgefallen, weil Sie einfach drängendere Probleme plagen, aber der Mensch hat im Vergleich zu allen anderen Arten im uns bekannten Universum die zeitlich längste Kindheit im Verhältnis zur Lebensdauer. Kein von der Natur zubereitetes Geschöpf ist für eine derartig lange Zeitspanne zu dämlich, alleine zu essen, sich selbstständig fortzubewegen oder seine eigene Verdauung souverän abzuwickeln. Ganz nüchtern betrachtet, funktionieren nur Plärren und Pennen von alleine. Vom Erlernen einer Sprache und des aufrechten Gangs will ich gar nicht erst reden.
Während die Antilope praktisch im Laufen geboren wird, sich binnen Sekunden vorwärts bewegen kann und dabei goldig aussieht, liegt das Menschenkind mit zu groß geratenem Kopf für weitere Monate unfähig auf dem Rücken herum. Und wenn es dann mit Hilfe eines menschlichen Flaschenzuges endlich steht, sehen die unverhältnismäßig dicken unteren Extremitäten nicht gut aus, und Mutti und Vati müssen sehr weinen.
Zusammengefasst: Wir lernen langsamer als jedes Tier, sehr viel langsamer. Der Mensch ist die müdeste, schlappste Nummer der Schöpfung. Dauerbekiffte Genetik.
Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Vergleichen.
Selbst beim Grönlandwal können die Nachkommen bereits schwimmen, während sie geboren werden und wissen sofort ganz genau, wo oben und unten ist.
Mein Freund, und der ist immerhin über achtzehn, hat noch nicht mal das Seepferdchen.
Allerdings gehört er zu den Lebewesen, die ständig fressen- ich bin jetzt wieder beim Grönlandwal- und ständig bedeutet hier wirklich pausenlos. Und es ist diskutabel, ob das der Grund für diese eklatante Überlegenheit sein könnte.
Die Frage aller Fragen allerdings lautet, warum die Natur das alles so eingerichtet hat.
Ich biete Ihnen folgende Auswahl:
Die Natur rächt sich an uns. Für alles.
Die Kindheit ist in Wahrheit eine Fata Morgana. Es gibt sie gar nicht. Hosenscheißer, Rülpser und Rumlieger bleiben nämlich lebenslang Hosenscheißer, Rülpser und Rumlieger.
Es gibt berechtigte Hoffnung auf das baldige Aussterben aller Lebewesen, die Mensch enthalten.
Denken Sie gefälligst darüber nach und fragen Sie sich nach der richtigen Lösung. Sich selbst, bitte.
Mich löchern Sie damit tunlichst nicht. Ich bin nämlich unsterblich und entscheide selbst, wann meine Kindheit zu Ende ist. Und das kann noch dauern.
Ich melde mich zurück, wenn ich wieder da bin.
© Ruth Rockenschaub
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